Neustadt.Phantastische Orte.Überall

Neustadt.Phantastische Orte.Überall. 

 

 

Es soll im Laufe der Jahre 21/22/23 erzählt werden über:

  • einen GSG 9-Einsatz zu RAF-Zeiten im Hause der Hausmutter in der Neuenlander Straße / Ecke Essener Straße 
  • Knipp mit Gurke bei Fiddi Martens und seiner Frau Meta, direkt da beim späteren Amt für Soziales / Süd 
  • die Hausmutter mit der weißen Schürze beim Einschenken des Kaffees für den Herrn Jugendrichter 
  • Soffi, die dem DDR-Sozialismus nahe stand und Roth-Händle-Zigaretten rauchte 
  • die Gaststätte "Blondi" und ihren Wirt Walter, der eigentlich Libero beim ATS Buntentor war
  • den Chef  des Fischgeschäftes in der Pappelstraße, der den Kunden nichtendenwollende Fischvorträge hielt 
  • das Büromaterialgeschäft und die Druckerei  an der Ecke zur Hohentorheerstraße  und die nette Frau von Puck
  • den Einfall des "GEIZIGEN PFAUES" mit seinem Gefolge aus dem "Viertel" in die Neustadt
  • den Kolonialwarenhändler Schulz und seinen Sohn Schulz jun. in ihren blütenweißen Kaufmannskitteln
  • den älteren Nachbarn, der im Vorübergehen verächtlich seine Zigarrenreste in den Vorgarten rotzte 
  • den Kindergarten Delmestraße und die Grundschule Oderstraße und ihre Erzieherinnen
  •  eine erfolglose Trainertätigkeit des Hausvaters im F-Jugend-Bereich  des Polizei-Sport-Vereins Bremen
  •  Rohe Zwiebelberge und mindestens 3 kostenlose Ouzo beim "Griechen" an der Ecke Pappel/Langemarck
  •  die Ungarische Frau, die wie Marika Röck die Szene im Jugendheim beherrschte und auf dem Hockerkocher tanzte
  • den Kollegen mit der Vollkornkiste und der manuellen Kornmühle, der später Professor in Hamburg wurde
  • die Reisen des Hausvaters in die fernen Gefilde der beruflichen Fortbildung und der Referententätigkeiten    
  • Dauerduscher, Brandstifter, Gewalttäter, Rechtsanwaltssöhne, Vergewaltiger, einfache Dussels und Tischler
  • Endlose Vorstandssitzungen, sinnlose Hausausschusssitzungen, Hockerkocher und die Nöte der Feinblechner
  • die Verlegung der Geschäftsstelle in ein Haus in der Rückertstraße, in dem sich im Keller ein Puff befand
  • Erwin, den Betrüger, der einen dicken Mercedes in einer Hinterhof-Garage im Buntentorsteinweg stehen hatte 
  • Daria, der aus Polen stammenden Buchhalterin, die auf die Schliche des Erwin kam und Bigos kochte für alle
  • die Friedrich-Ebert-Straße + die Schnellen Jungs + die Maulwürfe und die Wohnungen für die Drogenabhängigen
  • den Spielplatz Ecke Buntentorsteinweg / Osterstraße und den dortigen Lagerraum, der auch als Partyraum diente
  • medizinische Institutionen im Bereich des Buntentorsteinweges. Hals, Nase, Darm, Herz, Nerven, Muskelfasern
  • zwei Damen vom Schnürschuh mit Ottersberger Ausbildung, die mit den Gestrauchelten Theater spielten
  • den Chinesen in der Kornstraße. Schnell zubereitet, schnell abgeholt, schnell ins Büro, schnell reingewürgt
  • die Haushaltshilfe Maggi aus der Gellertstraße,  die ihr Fahrrad nie losließ, und die den verrückten Olli adoptierte
  • eine Landschaftsmalerin aus Ostwestfalen, die mit einem Fahrrad am offenen Fenster in der Rückertstr. vorfuhr 
  • die Einführung der elektronischen Verwaltung und die damit verbundenen Probleme im alltäglichen Ablauf
  • das Wesen der Sozialarbeit in der Neustadt, eine synergetische Klausurtagung und das bittere Ende im "Falstaff"
  • die Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm im Nachbargarten mit bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern
  • den Kauf eines Gebäudes im Randgebiet der Neustadt, Grolland, mit Mitteln der Deutschen Fernsehlotterie
  • den Umzug eines Jugendhilfevereins in die ehemaligen Geschäftsräume des Autoversicherers HUK, Westerstraße
  •  den weltweit 1. Versuch einer räumlichen Synergie von Leitung + Sozialpäd.Praxis. Das Neustädter Modell 
  • die Skandalweihnachtsfeier im Hause Westerstr.93, 5.Stock. Geschäftsführer legt gesamte Baufirma unten lahm
  • das frühere Fischrestaurant im Hotel Westfalia, in dem sich der 1.Vorsitzende gerne mittags freihalten ließ
  • die regelmäßigen Visitationen des Vorstandes mit den unschönen Quartalsbilanzen im Hause Pappelstr.100... 
  • ...und über  die grauen Anzugsuniformen der Sparkassenlakaien mit ihren roten Schlipsen mit Sparkassensymbol
  • den Besuch von Wirtschaftsprüfern und Sparkassenlakaien in der Westerstraße zum Butterkuchenfressen 
  • den Versuch eine Neustädter VereinsAkademie im 5.Stock zu gründen. Mit Hilfe eines Bremer Uni-Proffs     
  • die moderne Buchhaltung eines innovativen Jugendhilfevereins und die Überforderungen der Buchhalterin damit 
  • die kontemplativen Betrachtungen der jungen Mauersegler bei ihren Flügen über das Beck's-Brauerei-Gelände
  • die "SCHNELLEN BUBEN", die in Wirklichkeit ziemlich lahmarschig waren
  • Hannes, den Ewigen
  • Kalle, der plötzlich starb und auf dem Huckelrieder Friedhof beigesetzt wurde
  • das Photostudio am Buntentorsteinweg
  • den Delmemarkt mit seinen ganz besonderen Marktmenschen
  • Judith in der Rüdesheimer Straße
  • das Eiscafe TIZIANO in der Pappelstraße
  • einen Selbstmord in der Rheinstraße
  • Robert und Marlene aus der Donaustraße
  • GluckGluck und andere Heiße Scheiße am Buntentorsteinweg
  • die Bachstraße, in der der ABM-Martin wohnte und geförderte Arbeitsplätze über den Gartenzaun vergab
  •  das Haus in der Friedrich-Ebert-Straße und über die Kaukasische Flügelnuss bei der Stadtbibliothek
  • den Flug der jungen Mauersegler über das Gebiet der Beck's Brauerei 
  •  die Ereignisse im 5.Stock des Gebäudes Westerstr.93 nach dem Auszug der HUK-Kfz-Versicherung  
  • Feste und Feiern und den Ausschluss der gesamten Baufirma aus ihrem Stammhaus
  • die Gründungsversuche einer Fortbildungs-Akademie für Sozial Tätige 
  • die Versuche, einen Universitätsprofessor mit sinnvoller Arbeit zu beglücken

  und vieles andere mehr...

Annodunnemals 1.Juli 1979 in 3 Akten

Der 1.Juli.

Ein wunderbares Datum. 

 

 

1.Akt.  

Vor 41 Jahren, am 1.Juli 1979, gerieten meine Frau und ich in die Fänge der Justiz. In einem Bremer Gebäude, direkt gegenüber vom Schwimmbad, und ebenso direkt gegenüber vom "Haus des Reichs", unterschrieben wir Arbeitsverträge als "Hausvater" und "Hausmutter". Uns gegenüber saß der ehemalige Leiter des Bremer Gefängnisses. Das Mitglied einer ehrenwerten Bremer Kaufmanns- und Politikerfamilie, es finden sich hier ehemalige Bürgermeister, Diplomaten, Nationalsozialisten, Botschafter, Staatssekretäre und ähnliche wieder,  saß uns streng amtlich gegenüber und fragte nach unseren Kaffeewünschen. Wir saßen in unserer 68er-Kleidung ziemlich langhaarig und aufgeregt am hinteren Ende des bismarckischen Schreibtisches und bestätigten, dass wir gerne ein Tässchen Kaffee trinken würden - bitte mit etwas Sahne, aber ohne Zucker. Der Ehrenwerte beorderte sofort eine adrette Sekretärin mit dem Vollzug des Kaffeekochens und ließ Kaffeegeschirr auftafeln. Sodann begab sich der ehrenwerte hohe Beamte an seinen antiken Aktenschrank, der aussah wie der Schlafzimmerkleiderschrank der Oma meiner Frau aus dem Grafschaftlichen Kreis Hoya, und der wohl mindestens vom 18.Jahrhundert an von ehrenwerten Familienmitgliedern zu anderen ehrenwerten Familienmitgliedern weitervererbt worden war, um eine güldene Mappe herauszuholen, in der sich die vorgefertigten Arbeitsverträge für meine Frau und mich befanden. Bei der ehrenwerten Zeremonie des Mappeholens machte der bereits vor der Pensionierung stehende ältere Ehrenwerte meiner attraktiven jungen Frau schöne verdrehte Augen wie ein Gockel. Vor den Unterschriften und dem Hereinbringen des Kaffees, wurden wir noch einmal über Details der Arbeitsverträge belehrt und informiert. Im Wesentlich hörten wir uns das Lob des "Hauselternprinzips in der Erziehung und Begleitung der herumstrolchenden Jugend" an, das seit 1964 im sogenannten "Bewährungshaus" des im Jahre 1958 gegründeten "Vereins für Bewährungshilfe für Jugendliche und Heranwachsende in Bremen e.V", und dessen Vorsitzender der Ehrenwerte war,  zur Anwendung kam. Darüber hinaus hörten wir uns das Lob der Bremer Justiz an, und das Lob der Bremer Jugendbewährungshilfe, die dieses Erziehungsprinz seit 64 erfolgreich praktiziert habe. Wir, meine Frau und ich, wurden ausgewählt, obwohl wir keine Bewährungshelfer waren, sondern nur einfache Sozialpädagogen, da sich kein Bewährungshelferehepaar mehr fand, das diese doch so schwere undankbare  Arbeit machen wolle, da es immer wieder zu schweren Rückfällen käme, die auf Dauer nicht zumutbar seien, besonders nicht den Kindern der Hauseltern gegenüber. Dass wir ebenfalls Kinder mit in das Arbeitsverhältnis einbringen würden, spielte für den Ehrenwerten keine Rolle. Ebenso wenig wie meine bekannte revolutionäre maoistische Vergangenheit und andere Jugendsünden. Entscheidend, so der Ehrenwerte, für meine Auswahl, sei wohl die Tatsache gewesen, dass ich die 1.Verwaltungsprüfung vorweisen konnte, da in dem Arbeitsverhältnis außer der Bewachung und Erziehung der herumstrolchenden Jugend  viel buchhalterisch einzutragen uns zu verwalten sei. Es gingen immerhin riesige Summen an Bußgeldern bei dem Verein ein, die ordnungsgemäß nachzuweisen und zu verteilen seien. Mit seinem ehrenwerten Tintenfüller unterschrieben wir die Verträge und machten uns, noch bevor der Kaffee mit etwas Sahne aber ohne Zucker kam, auf den Weg durch die Wallanlagen in die Stadt, wo wir uns erst einmal ein Gläschen Rotkäppchen-Sekt  gönnten. Die Vertragsunterzeichnung hat übrigens 24 Jahre und 11 Monate Bestand gehabt - dann war Schicht im Schacht wegen zurückgehender Bußgeldeinnahmen.

 

 

Der 1.Juli.

Ein wunderbares Datum.

2.Akt.  

 

Vor 41 Jahren, am 1.Juli 1979, betrat ich meinen neuen Arbeitsplatz. Ich stand vor der Eingangstür des Hauses an der Ecke Neuenlander Straße / Duckwitzstraße und klingelte. Ein Dackel kam an die Tür und kläffte, eine Hausmutter in weißer Schürze folgte dem Dackel und öffnete, der Hausvater, der einen neuen Job als Bewährungshelfer in Buxtehude vor sich hatte, eilte herbei und stöhnte, was er alles zu tun habe. Er käme gerade aus dem Keller, wo er sich kaputtgelacht habe. Worüber, wurde nicht deutlich. Ein Wohnungswechsel von Hauseltern zu Hauseltern war erst für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen, da das neue Reihenhaus in Buxtehude noch nicht bezugsfertig sei.  Und so wurde ich an meinen neuen Arbeitsplatz geführt: an einen spärlichen aus Bußgeldern finanzierten 60er-Mahagonischreibtisch, auf dem ein aufgeschlagenes riesiges  (40 x 100 ) Buchhaltungsjournal lag. Der Dackel winselte zwischen den Beinen herum. Mein Einwand, dass ich eine gewisse Hundeangst habe, wurde lapidar wie immer mit "der macht doch nichts" beantwortet. Der Dackel bellte und sabberte. Die Hausmutter in der weißen Schürze war bemüht etwas Erfrischendes anzubieten, sie brachte eine Flasche Stilles Wasser und ein Glas. Wohl für mich! Nein, Kaffee trinken wir nicht. Nur, wenn Hausausschusssitzung ist, dann trinken wir ein Tässchen mit und essen auch ein Stückchen Butterkuchen - so die Hausmutter. Ob denn auch jugendliche Hausbewohner im Hause seien, fragte ich. Nein, die seien alle entweder zur Arbeit im Hafen oder beim Amt wegen Sozialhilfe. Zwei seien gestern Nacht abgeholt worden von der Polizei, sie haben wohl wieder "Scheiße gebaut", so der zukünftige Bewährungshelfer von Buxtehude. Ob ich denn mich mal im Hause umkucken könne? Nein, heute lieber nicht - da müsse erst alles sauber gemacht werden, die Putzfrau käme erst morgen. Nun gut.  Der Hausvater, er nannte sich auch Geschäftsführer, wies mich ein in die Geheimnisse des gerichtlichen Bußgeldwesens und in die Geheimnisse der Verbuchung. Wichtig auch zu wissen, welche Sparten der Justiz aus den Bußgeldern bedient werden konnten. Die Entscheidungen, so der Hausvater und Geschäftsführer , über die Vergabe habe nicht der Hausvater und Geschäftsführer zu treffen, sondern einzig und allein der Vorstand und die Mitgliederversammlung. Was denn der Hausvater und Geschäftsführer so zu tun habe sonst? Post abwarten, Kontoauszüge von der Kasse abholen, eintragen, mitteilen. Und sonst? Keller! Und wie es so mit dem Erziehungsauftrag sei ? Je nachdem - der eine so, der andere so! Die Einen flutschen, die Anderen wandern wieder ab. Aha!   

 

Der 1.Juli.

Ein wunderbares Datum.

3.Akt. 

 

Vor 41 Jahren, am 1.Juli 1979, meine erste Hausausschusssitzungsteilnahme. Die mit der weißen Schürze ausgestattete Hausmutter hat alles kaffeetafelmäßig vorbereitet - heute Apfelbutterkuchen. Der Hund winselt danach. Der Jugendrichter kommt wie immer eine halbe Stunde früher - aus ernährungsbedingten Gründen. Er geht an den Tagen der Hausausschusssitzungen und Vorstandssitzungen  aus Sparsamkeitsgründen nicht wie gewohnt in die Gerichtskantine, sondern hungert bis zum Beginn der HA-Sitzung am Nachmittag, um dann rechtzeitig vor Beginn der Sitzungen die Hälfte der von der Hausmutter feierlich angerichteten Kuchenplatte schon einmal zu verzehren. Der Jungstaatsanwalt frotzelte dann bei seinem Eintreffen immer zum Jugendrichter: Na, Herr Vorsitzender, satt geworden? Später dann, beim Eintreffen des stahlharten Altjugendrichters gab es dann nichts mehr zu frotzeln, er forderte den sofortigen Einblick in die Bücher, um keine Zeit zu verschwenden. Schließlich wolle er noch in seinen Schrebergarten. Die mächtige Jugendgerichtshelferin hingegen plädierte für Gelassenheit, denn schließlich sei man ja auf der Flucht vor den Staatsorganen. Der Bewährungshelfer stellte die Frage nach der Protokollführung, um sich daraufhin selbst vorzuschlagen, da er sich damit wie immer  zurückziehen konnte in seinen Steno-Block, weil er nur ungerne debattierte oder gar diskutierte. Ein weiterer älterer Staatsanwalt, oder war er gar Oberstaatsanwalt, der später spöttisch nur noch "Hockerkocher" genannt wurde, wegen seiner Bedenken gegen einen solchen. Fehlte noch der Leiter des Jugendstafvollzuges. Der kam meistens eine Stunde später, wenn nicht gar nicht. Er habe noch Gespräche mit renitenten Insassen, die den Sinn des 

Jugendstrafvollzuges infrage stellten, führen müssen. Der Hausvater legte die Belegungsstatistik des Hauses vor und berichtete namentlich über die Verhaltensweisen der "Hausbewohner". Er nahm Ratschläge der Juristen an, wie in schwierigen Fällen zu reagieren sei. Notfalls sofortiger Anruf, damit schnell richterlich oder staatsanwaltlich gehandelt werden könne. Danach dann die detaillierte Buchprüfung und Belegprüfung  in Soll und Haben. Selbst das Viertelpfund Zwiebelmett für den Frühstückstisch der Hauseltern war vor den Prüfungen nicht sicher. Daraus ergab sich eine heftige Debatte um die besten Fleischer in Bremen und um die Preisdifferenzen im Zwiebelmettsektor. Die Hausmutter schenkte Kaffee nach und fragte, ob noch mehr Apfelbutterkuchen aufgeschnitten werden müsse. Und ob noch Stilles Wasser gewünscht werde.

 

 

Neustadt.Phantastische Orte. Überall

Knipp mit Gurke bei Fiddi Martens und seiner Frau Meta, direkt da beim späteren Amt für Soziales / Süd  

 

Das damalige Leben im Bewährungshaus war nicht leicht zu ertragen. Ständig umgeben zu sein von jungen Männern in unterversorgten Lebenslagen mit gravierenden biographischen Brüchen bereits in jungen Jahren beanspruchte doch sehr. Hauseltern wurden meine Frau und ich genannt.  Die eine war die Hausmutter, der andere der Hausvater. Das Pädagogische Prinzip bestand in der irrtümlichen Annahme des damaligen Trägers, dem Verein für Bewährungshilfe für Jugendliche und Heranwachsende in Bremen e.V gegr. 1958, dass ein Wohnen zusammen mit einem Bewährungshelferehepaar oder einem Sozialpädagogenelternpaar und ihren Kindern unter einem Dach positiv erzieherisch wirken würde und in kurzer Zeit zur Verbesserung der Verhaltensweisen und zur Veränderung der defizitären Lebenssituation beitragen würde. Ein 24-Stunden-Job mit vielen schönen Gemeinschaftserlebnissen wie Gemeinsames Kochen und Essen, Tischtennis unten im Keller, Fussball 1 bis 2x die Woche auf den Wiesen des Werdersees beim Krähenberg, gemeinsame Ausflüge und gemeinsame Weihnachtsabende. In 24-Stunden-Job andererseits mit höchst unangenehmen belastenden Vorkommnissen. Ständig Polizei im Hause, ständig ahnungslose Jugendgerichtshelfer und Jugendgerichtshelferinnen, sowie hilflose Bewährungshelfer und Bewährungshelferinnen. Einer von den Jugendgerichtshelfern schlief wegen totaler Arbeitsüberlastung im Jugendamte und bei Gerichte ständig im Bewährungshaus auf der Tischkante im Gemeinschaftsraum ein. Er nutzte die Gelegenheit, da er wohl zu Hause auch nicht machen durfte, was er wollte. Nachts dann die Highlights der Sozialpädagogik in „familienanalogen“ Zusammenhängen: Horror pur. Gewalt, Drogen, Beleidigungen, Regelverletzungen, Irrationalitäten wie „aus dem 2.Stock aus dem Fenster runterspringen“ oder „dem Hausvater was an die Fresse anbieten“ oder „mit blutenden aufgeritzten Armen vor der Eingangstür stehen und jämmerlich heulen“ usw. Um all dem zwischendurch, wenn all die Strolche aus dem Hause waren, um weiterem kriminellen Handeln draußen nachzugehen, zu entfliehen, suchten wir kurzentschlossen und kurzwegig die Hilfestelle für genervte Sozialpädagogen in der Elbestraße auf: die Gastwirtschaft Fiddi Martens. Quasi um die Ecke. Dort hatten wir so etwas wie einen Stammplatz direkt am Fenster zur Neuenlander Straße hin, von wo aus wir den Eingangsbereich „unseres“ Bewährungshauses voll im Auge hatten. Das Wirtshauspaar wusste schon, was wir bestellen würden: So standen ruck zuck Halbe Liter Pils vor uns und Knipp auf Schwarzbrot oder mit Salzkartoffeln und Saurer Gurke. Manchmal auch Bratkartoffeln mit Spiegeleiern oder Labskaus. Schön auch immer Rinderbrust mit Meerrettichsoße an Roter Beete, ganz zu schweigen von Kohl und Pinkel in der Saison. Meta versorgte eifrig die Gäste im Schankraum mit Getränken, während Fiddi hinten in der Küche seine herrlichen Speisen zubereitete. Fiddi war ehemaliger Schiffskoch und wusste, was seine Kadetten gerne aßen. So auch in seiner Wirtschaft. Es roch immer herrlich nach Bratkartoffeln, gebratenen Eiern und Speck. Und nach Knipp. Wer weiß, was da alles drin ist. Von Januar bis März beherrschte der Geruch von verkochtem Grünkohl die ganze Gegend, bis hin zum Bewährungshaus. Später wurde da gegenüber das Sozialamt Süd und das JobCenter Süd hingestellt. Da waren Fiddi und Meta schon längst wieder auf See.

 

Neustadt.Phantastische Orte.Überall. 

Das Gebäude an der Ecke Essener Straße / Neuenlander Straße in der Bremer Neustadt, das in den 60er Jahren gegen den Widerstand der dortigen Anwohner errichtet wurde, und das in den 70er Jahren Schauplatz eines GSG-9-Einsatzes wegen RAF-Verdachts war, soll nunmehr endgültig abgerissen werden. Und zwar, laut Gerichtsbeschluss, wegen der Verunzierung der Fassade. Unbekannte „Künstler“ haben dort vor Jahren eine Außendekoration angebracht, die assoziieren soll, dass dort in dem Hause Retter des Sozialen Untergangs am Werke seien. Nach genauerem Hinsehen hat sich nun herausgestellt, dass in dem Hause lediglich schlecht ausgebildete Sozialhelfer mit Abneigungen gegen berufliche Weiterqualifizierungen am Werke sind. Das Gericht sah dieses als Täuschung der Öffentlichkeit an und als Soziale Hochstapelei. Da es zu schwierig sei, das „Soziale Aushängeschild“ an der Fassade des Hauses wieder zu entfernen, wurde vom Gericht der Beschluss gefasst, das inzwischen marode 60 Jahre alte Gebäude zu entfernen und durch ein neues zu ersetzen.  Die dortigen MitarbeiterInnen, die inzwischen ebenfalls das 60.Lebensjahr und mehr erreicht haben dürften, riefen nach dem Betriebsrat und traten in den sofortigen Hungerstreik. Mein lieber Hockerkocher – da ist was los! 

 

 

 

Heute :

Der Buntentorsteinweg zwischen Kirchweg und Leibnizplatz.

Zu Fuß. Immer links, wie sich das gehört. Auf dem Hinweg von Parkplatz bis Theater, auf dem Rückweg von Gertruds ehemaliger Ohrenpraxis bis zum Eismacher, der sehnlichst auf den Frühling und den Sommer wartet. Unterwegs einige interessante Neustädterinnen und Neustädter angetroffen. Unter anderem Heike von der Shakespeare Company, die vor Kälte bibberte und schnell rein musste in ihren Musentempel. Sie bereiten weitere Pessoa-Lesungen vor, die man über Youtube sehen kann. Als ich ihr sagte, dass ich Pessoa-Liebhaber sei und all seine Heteronyme auswendig kann, kamen ihr portugiesische  Tränen.  Den Pastor beim Entsorgen von Altglas bei den Containern vor dem Schwimmbad angetroffen. Augenscheinlich nur Weißglas - Gurken-, Wiener Würstchen- und Weihrauchgläser. Als er unser Leergut sah, machte er nur drei Kreuze, bat um Erbarmen für uns  und gab seinen Segen. Später, auf der stadtauswärtigen linken Seite, am ehemaligen Spielplatz Buntentor innegehalten. Mein Gott, was haben wir hier schöne Veranstaltungen für Kinder gehabt und auch für uns selbst. Denken wir doch nur zurück an den ehemaligen Werkzeuglagerraum, in dem der erste Vorsitzende zum Trunke auf seine Kosten einlud. Am Treffpunkt der Neustädter Jugend hinter dem Kiosk rief ein ehemaliger Proband unzüchtige Verbalinjurien herüber. Irgendetwas mit Sozi oder so. Am Fahrradstand des Drogeriemarktes sprach mich, als sie sah, dass ich fotografierte, eine flotte junge Neustädter Hausfrau an, um mir mitzuteilen, dass sie auch fotografiere. Im Augenblick würde sie täglich, wenn nicht stündlich, Aufnahmen von der ihrem Hause gegenüberliegenden Baustelle machen, auf der der Polier die polnischen, rumänischen und aserbeidschanischen Schwarzarbeiter schikaniere. Beim Bäcker dem Sportvereinsvorsitzenden übern Wech gelaufen. Nachdem er mich erkannt hat, rief er mir zu: Arbeiterverräter. Er soll, so hört man, früher einmal Rechtsanwalt für Arbeitsrecht gewesen sein und mit mir häufig vor dem Arbeitsgericht als Gegner gestanden haben. Ob das stimmt, das wissen nur Naturfreunde, Gewerkschafter, unfähige Betriebsräte und Antikapitalisten.  Später noch, am Eingang zur Hoffmannstraße, ein kurzes Gespräch mit dem Leiter der Werkstätten über die Zeit, als mein verstorbener Bruder Thomas dort im Wohnheim tätig war. Auf dem Deich dann noch dem Schimmelreiter begegnet. Stolz erzählte er, dass er einige Impfgegner und Platanenpfleger erwischt habe. Voll die Heyoopeis, so der Deichhauptmann. Einigen von denen, so der Nordfriese, habe er Deichverbot erteilt wegen Gefährdung der Öffentlichen Volksgesundheit. Der Schimmel ließ derweil ab.  

 

 

 

Die grüne Neustadt
wunderschön

Eine Fotowanderung

vom

Eine Fotowanderung

vom Hohentorsplatz bis Café Sand

im Mai 2010

Alle Fotos: Ulli Pelz, Bremen - Buntentor, aufgenommen im Mai 2010

No Sports  -  Training  -  Umweltbetriebe  -  Stiefmütterchen  -  Sandkiste  -  Polizei  -  Rasen  -  Hochschule  -  Wiese  -  Bäume  -  Ruhe  -  Kastanien  -  Spielplatz  -  ehemaliges dioxinverseuchtes Sportplatzgelände des PSV Bremen - Berg  - Rote Mauer - Dialog  -  Kaukasische Flügelnuss  -  Wunderbaum  -  Centaurenbrunnen  -  Neustadtpark  -  Bärlauch  -  Piepe  -  Weißdorn  -  Kleine Weser  -  Belehrung  -  Schwankhalle  -  Roter Anhänger  -  Kunst  -  Deichschartbrücke  -  Am See  -  Leuchte  -  Kleingartengebiet  -  Wasser  -  Bank  - Ruhe  -  Eingangstor Kinderwildnis  -  Bioklo  -  Wasserpumpe  -  Kraut und Rüben  -  Holz  -  Wildnis  -  Essen und Trinken  -  Pause machen  - Hinüber auf die Flussseite der selbsternannten eingebildeten Psychotherapeutinnen und Unternehmensberaterinnen  -  und: aus! 

am 9./10.3.21

 

Neustadt.Phantastische Orte.Überall.

Die Friedrich-Ebert-Straße 

stadtauswärts

ab Bischofszentrale bis Straßenbahndepot

In Bild und Text

 

Die Friedrich-Ebert-Straße ab Wilhelm-Kaisen-Brücke stadtauswärts schlendern ist ein Erlebnis voller Wunder und Überraschungen. Am besten ist es, mit dem Pkw zu kommen und die Rückfahrt zum Parkplatz mit der Linie 6 zu erleben. Also auf dem kostenpflichtigen Parkplatz – die Kirche nimmt ja gerne – des Bischofs von Bremen das Auto abstellen. Der Bischof steht meistens am Fenster seines bescheidenen Büros und überwacht das Kommen und Gehen. Manchmal, wenn er das Auto eines Ungläubigen vermutet, öffnet er das Fenster und fragt nach der Konfession des Parkwilligen. Als Atheist sollte man dann geistesgegenwärtig eine Religionsgemeinschaftszugehörigkeit für sich erfinden, sonst riskiert man ein Parkverbot.

 

Wenn dann der Bischof zu dessen Zufriedenheit belogen wurde, dann sollte man noch kurz ins Wasserwirtschaftsamt hinein gehen, um nach dem Wasserstand der Weser zu fragen. So stellt man sicher, dass nach Rückkehr von der Exkursion der beim Bischof abgestellte Wagen nicht unter Wasser steht.

 

Nach der Information über den Wasserstand beginnt dann bei der Spargel- und Erdbeerbude von Wichmann die kleine Stadtwanderung die Friedrich-Ebert-Straße entlang bis fast Bremer Flughafen Hans Koschnik. An der Bude dann, bei der es auch regionale Kartoffeln gibt, Sieglinde und Heidemarie, ein kurzes Schwätzchen mit der studentischen Hilfskraft halten. Themen könnten sein: das Wetter, die Sorgen der Landwirtschaft, das Problem mit den osteuropäischen Erntehelfern und andere.

 

Nach dem regionalen Einkauf und dem akademischen Small-Talk erreicht man dann die Brücke über die Kleine Weser. Hier kann gut am Brückengeländer verharrt werden, um die Aussicht auf die geliebten Bremer Deich-Platanen zu genießen. Wunderschöne Bäume in Reih und Glied, die leider der notwendigen zukünftigen Deicherhöhung weichen müssen. Manchmal trifft man auf eine Platanenretterin, die um eine Unterschrift für die Resolution zur Rettung der Bäume bittet. Hier muss eine persönliche Entscheidung getroffen werden zwischen klimawandelbedingtem baldigem Absaufen und romantischem Platanenretten. Schwere Entscheidung.

 

Jetzt im Weser-Imbiss gegenüber bei der Kreuzung Friedrich Ebert / Osterstraße eine erste Wanderpause einlegen und eine dicke Currywurst mit Pommes rot-weiß genießen. Dazu ein Bierchen. Ein Körnchen. Wenn nicht zwei. Tasse Kaffee geht auch. Es kann sein, dass der Imbiss nicht mehr da ist, und dass sich an seinem traditionellen Platz das Studentenkaffee PAPP mit Palletten und Bretterbuden breitgemacht hat. Dann – ja, was soll man dann machen? Hier muss wieder eine persönliche Entscheidung getroffen werden. Nehme ich Currywurst oder eine Vegane Suppe?

 

Gegenüber ein hohes kirchliches Altenheim, bei dessen Anblick immer zu befürchten ist, dass aus den oberen Stockwerken plötzlich Insassen samt Rollatoren aus den Fenstern fliegen.

 

Die Osterstraße überqueren und das kleine frühere Mafia-Restaurant, das wohl inzwischen den achten Inhaber hat, rechts liegen lassen. Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass die Pizzen von Mauro und Maria zu deren Zeiten große Klasse waren. Hier hat der Autor dieser kleinen Wanderanleitung zu seinen Zeiten in der Rückertstr. 20 so manche leckere Napoli oder Prosciutto herausgeholt, um sie zwischen Elektrischer Schreibmaschine und Telefon mit Wählscheibe mit öltriefenden Fingern zu verzehren. Über Mauro und Maria könnte noch viel mehr berichtet werden. Unter anderem könnte über eine ausschweifende Geburtstagsfeier im früheren Lokal von Mauro und Maria in Bremen Woltmershausen berichtet werden, bei der alle Gäste mit minderwertigem süßlichem Grappa aus der Region Apulien abgefüllt wurden und Mailand nicht mehr von Madrid unterscheiden konnten.  

 

Auf der rechten stadtauswärtigen Seite der Straße weitergehend vorbei an Utas Friseursalon und Sport Carls gelangen wir dann in die Nähe der Schule am Leibnizplatz. Uta übrigens, die Friseurmeisterin, die ihren Salon vormals direkt gegenüber der Rückertstr. 20 hatte, läuft jeden Morgen von Delmenhorst, wo sie wohnt, zu ihrer Arbeit in Bremen. Abends den gleichen Weg zurück. Entsprechend dünn ist sie. Man kann in den Salon hineingehen und sie fragen, wie sie das macht.

 

Bei Sport Carls übrigens, hat der Autor dieser kleinen Wegbeschreibung, der ja übrigens auch Fußballtrainer war, für seine F-Jugend-Mannschaft vom Polizeisportverein, PSV Bremen, immer die Trikots mit Nummern und Namen bestellt. Die Eltern durften zahlen.

 

Noch vor der Schule kommen wir an zwei wichtige Orte der medizinischen Versorgung im Lande Bremen. Früher links bei der Einmündung in den Buntentorsteinweg das Haus, in dem sich die legendäre HNO-Praxis von Waltraud befand. Hier konnte man gut und gerne 1 – 2 Stunden im Wartezimmer abgegriffene 4 Wochen alte Lesemappen lesen, um dann auf dem HNO-Stuhl von ihr gefragt zu werden, was man denn schon wieder habe. Später übergab sie die Praxis an zwei Jungärzte, die in den Neubau des Ärztecentrums auf der gegenüberliegenden rechten Seite kurz vor der Schule rübergingen. Auch hier wird bis heute wohl am meisten Honorar mit diesen unsinnigen Hörtests verdient. Nach dem Test wird dann meistens gespült. Die Ohren sind dann frei und die Ärzte haben noch einmal verdient. Geht nicht rein zum Test, das dauert zu lange – wir müssen weiter.

 

Und so erreichen wir die Schule am Leibnizplatz und das integrierte Theater der Shakespeare Company. In der traditionellen Schule haben viele berühmte Bremer und Bremerinnen ihr Abitur abgelegt. Manche zwar mit Hängen und Würgen, was sie aber nicht daran hinderte gesellschaftliche Karriere in Bremen zu machen. Die meisten von denen waren Juristen und Juristinnen. In den Fluren der Schule hängen die Abbildungen der Besagten, die kostenlos zu besichtigen sind.

 

Das Kollektiv der Shakespeare Company steht derweil in den Kostümen des Sommernachtstraumes im Foyer des Theaters und wirbt für den Besuch der Vorstellungen. Dabei kann es passieren, dass die Hauptdarstellerin mit einem Leberwurstbrot in der Hand zu erklären versucht, dass es Shakespeare tatsächlich gegeben habe, und dass die Shakespeare’schen Texte nicht vom Englischen Königshaus persönlich geschrieben wurden. Manchmal, wenn man Glück hat, tritt auch Erik aus der Kulisse heraus und trägt Sonette vor. So wie annodunnemals im Restaurant „Dör’n Schapp“ anlässlich des 60.Geburtstags des Musikers und Lehrers und Schwagers Hans. Auch kann passieren, dass Lüchinger den Schneider macht. Da sollte man auf alles vorbereitet sein.

 

Verlassen wir die Bildungs- und Kulturstätte, blicken hinüber zum Centaurenbrunnen, der Wasser lässt, und machen eine zweite Pause im Park vor der Zentrale des SOS-Kinderdorfes Bremen, welche früher die Stadtbibliothek Süd war. Der Park lädt zum Verweilen auf den vielen Sitzbänken ein. Kontemplativ kann hier das Wunder der Kaukasischen Flügelnuß betrachtet werden. Ein schöner, geheimnisvoller Baum – da ist jede Platane nichts dagegen. Häufig, bei schönem Wetter, kommt die SOS-Chefin heraus und referiert vor den Gästen im Park die Geschichte der SOS-Kinderdörfer. Auf den unendlichen Reichtum, durch Spenden, der Organisation geht sie allerdings dann nicht ein. Stattdessen wird sie das Lied von der Spendenbedürftigkeit singen, um dann lächelnd mit dem Klingelbeutel herumzugehen.

 

Beim Blick hinüber zur Schulstraße kann man wunderbar das alte Polizeigebäude der Neustadt erkennen. Und den kleinen Berg dahinter, der auf den dioxinverseuchten Schlacke-Fußballplatz des PSV Bremen aufgeschüttet wurde, um Schlimmeres zu verhindern. Auf dem ehemaligen verseuchten Fußballplatz hat übrigens der Autor dieses kleinen Wanderführers als Trainer seine F-Jugendlichen gescheucht. Anfang der 80er Jahre. Leider war die Mannschaft immer Tabellenletzte. Bis auf ein Unentschieden gegen Farge-Rekum war nichts zu holen. Allein die Autofahrt damals an das Ende der Welt in Bremen-Nord hat dreimal so lange gedauert wie das Spiel selbst.

 

 Im weiteren Verlauf: der Kreuzungsbereich Friedrich-Ebert-Str./Lahnstr./Kornstr.. Noch kurz bei LINO reinschauen, dem besten kleinen Pizzaladen von ganz Bremen mit den besten Pizzen ganz Norddeutschlands, wenn nicht der gesamten Republik. Über die Lahnstraße rüber zum Café Lissabon, oder nennt es sich nur LISBOA? Hier muss jeder Stadtwanderer nun wiederum entscheiden, ob er rein geht oder lieber draußen bleibt. Es ist ein Raucher-Café. Und es kann vorkommen, dass, wenn du die Eingangstür öffnest, dir der Qualm aller verbliebenen Neustädter Raucher und Raucherinnen entgegen strömt. Es soll Fälle von kurzfristigem Atemversagen im Eingangsbereich das Cafés gegeben haben.

 

Der Bereich zwischen Lahnstr./ Kornstr. und Pappelstr./ Gastfeldstr. ist erreicht. Die LINIE 6 kommt von hinten angerauscht, radikale Radfahrer und sprintende Schnell-Kuriere klingeln dich weg. Flüchte in den Eingang des Hauses, in dem in der Wohnung im 2.Stock die zwei Katzen ständig im Fenster sitzen und um Bespielung betteln. Bringe ihnen Futter rein und sprich mit ihnen, wundere dich aber nicht, wenn sie dir mit ihren scharfen Tatzen eine Blutspur ins Gesicht verpassen. Füttere sie in der rückwärtigen Küche und schaue hinaus auf die Bachstraße und die Vorgärten der Pastorenhäuser. Mit Glück ist durch die Fenster der gegenüberliegenden Seite zu sehen, wie einer der Pastoren dabei ist das Alte Testament ins Karlshafische zu übersetzen.

 

Dann auf die andere, die linke Seite der Straße schauen und sich fragen, was das flache Haus mit den chinesischen Schriftzeichen draußen für eine bremische Bedeutung hat. Darauf wird es keine Antwort geben, weil niemand weiß, was da drinnen passiert.

 

Aber das Haus daneben. Das ist ein Haus mit großer Neustädter Geschichte, die etwas näher erklärt werden muss. Ein Arzt und Homöopath, aus dem niedersächsischen Gebiet um Achim und Oyten herum stammend, hatte hier jahrelang seine Praxis. Nach seinem Berufsende aus Altersgründen übergab er die Praxis an eine junge aufstrebende Ärztin, die dann allerdings mit dem Standort nicht glücklich war und in die Pappelstraße weiterzog.

 

Nun schlug der Straffälligenhilfeverein, der seinen Sitz ja in der benachbarten Rückertstr.20 hatte, zu und mietete die freigewordenen großzügigen Räume in dem Haus an. So ist zu erklären, und einige Gedenktafeln im Inneren des Hauses erinnern daran, dass hier bis Anfang der Jahrhundertwende viele neue Projekte und Abteilungen des Vereins eine Herberge fanden. Auf den Informations- und Gedenktafeln wird darüber aufgeklärt, welchen Sinn die Fachstelle für Gemeinnützige Arbeit hatte, und was das alles mit den Handwerkern der Bremer Maulwürfe, die unten in der Garage ihre Werkstatt einrichteten, zu tun hatte. Auch wird erklärt, was die Chefin der Maulwürfe immer auf ihrem riesengroßen Zeichenbrett malte. Spielplätze standen im Mittelpunkt der Aktionen, die von hier ausgingen. Sandkisten, Rutschen, Federwippen und so weiter wurden aus diesem Hause in der Friedrich-Ebert-Straße verwaltet. Auch die Schnellen Jungs waren jetzt hier ansässig. Dienstleistungen aller Art. Junge Menschen ohne Arbeit konnten sich hier beweisen. Manchmal entpuppten sie sich allerdings als Lahme Enten. Das steht alles auf den Info-Tafeln drauf. Höchst interessant. Auch gibt es Informationen darüber, was die Pädagogen der Sozialen Trainingskurse unten im ehemaligen Arztlabor mit den gestrauchelten Jugendlichen angestellt haben. Ein wilder Haufen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hauptamtlich als auch im Rahmen von Arbeitsbeschaffung, gab sich in dem Haus die Klinke in die Hand. Selbst das 40jährige Vereinsjubiläum im Jahre 1998 wurde hier gefeiert. Der Bürgermeister der Stadt, so erzählt man, soll mit dem Fahrrad vorgefahren sein, um eine kurze lobhudelnde Rede zu halten und um einen Großteil der Häppchen und Schnittchen zu verdrücken. Das Foto des Bürgermeisters beim Häppchenschmausen kann übrigens in dem Hause auch betrachtet werden. Später, nach Umzug der gesamten Mannschaft des Hauses in die Westerstr.93A, zog hier eine Psychotherapeutin ein, die erst einmal die gesamten Probleme und Konflikte, die die JugendhelferInnen und SpielplatzpflegerInnen hinterlassen haben, psychopathologisch aufarbeiten musste. Ein interessantes Haus, das bei der Wanderung entlang der Friedrich-Ebert-Straße auf gar keinen Fall ausgelassen werden sollte. Vielleicht wohnt ja auch die ältere Dame noch oben im 1.Stock, wenn sie nicht inzwischen verstorben ist. Sie könnte viele nette Anekdoten erzählen.

 

Vorbei am Fahrradladen, in dem die Paderborner Radfahrerin immer ihre neuen Räder kauft, kommen wir zur Kreuzung Friedrich-Ebert-Straße-Pappelstraße-Gastfeldstraße. An der Ecke Pappelstraße 100 würde sich ein Besuch der Grauen Herren mit den roten Krawatten lohnen. Aber das ist eine eigene Wanderung, auf die später noch einmal zurückgekommen werden soll.

 

Gehen wir also weiter in Richtung Straßenbahndepot und kommen in den letzten stadtauswärtigen Abschnitt der Friedrich-Ebert-Straße. Links und rechts rote Klinkerbauten, die nach dem 2.Weltkrieg zur Linderung der Wohnungsnot in Bremen gebaut wurden. Solide Häuser mit soliden Sozialwohnungen. Zum Schluss der kleinen Stadtwanderung schauen wir in drei der besagten Sozialwohnungen hinein, um ein Bild vom Innenleben zu erhalten. Es handelt sich um Wohnungen, in denen drei im Rahmen des drogenakzeptierenden Betreuten Wohnens des Vereins gestrauchelte junge Menschen gelebt haben. Der Erste wurde wegen ständigem „Mull aus dem Fenster werfen“ von der Hausverwaltung gekündigt, quasi rausgeschmissen. Der Zweite stürzte nach einer unkontrollierten Drogenparty mit 13 anderen Anwesenden im Rausche persönlich und tödlich aus dem Fenster. Während der Dritte das alles nicht mehr mitmachen wollte und seinem Leben durch einen Stromschlag durch das defekte Kabel der einzigen Lampe ein Ende setzte. Licht aus. Wanderung zu Ende!

 

Man könnte zum Abschluss der Stadtwanderung noch ins Chinesische Feinschmeckerrestaurant an der Ecke zur Neuenlander Straße einkehren und die Nr. 96 bestellen, oder 107, wenn nicht sogar die 152. Je nach Vorlieben können delikate Reisgerichte oder Bratnudelgerichte mit Huhn oder Schweinefleisch bestellt werden. Auch Rind ist im Angebot. Allerdings muss auf Hund oder Affe verzichtet werden. Gibt es nicht. Und wenn dann gefragt wurde „hat schmeckt“, dann begebe dich zur Haltestelle der LINIE 6 und kehre zufrieden und gesättigt zurück zum bischöflichen Parkplatz.
Ulli Pelz 10.3.21  

 

Ausgabe Nr.7

am 16./17.2.21

 

Neustadt.Phantastische Orte.Überall

Die Verlegung der Vereinsgeschäftsstelle in ein denkmalgeschütztes Haus in der Rückertstraße, in dem sich im Keller ein Puff befand

 

 

 


Mitte der 80er Jahre war dann Schluss mit Hausmutter und Hausvater im Bewährungshaus Neuenlander Straße. Nachdem die letzten Hauseltern ausgezogen waren in ein herrliches dreigeschossiges Reihenhaus mit unendlichen Treppen in Woltmershausen, wurde das Erziehungssystem umgestellt auf Pädagogisches Schichtsystem mit Nachtbereitschaft. Der Geschäftsführer behielt vorläufig das Büro in dem Hause und machte zusätzlich Pädagogische Schicht, auch nachts. Zusätzliche Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besiedelten jetzt das Erziehungshaus, teils festangestellt, teils auf Honorarbasis. Das Haus nahm neue Gerüche an. Roch es zuletzt im gesamten Gebäude nach HB und Schwarzer Krauser, ergänzte jetzt der intensive Qualm der Roth-Händle das Geruchsspektrum. Annegret, eine Bauerntochter aus dem Oldenburgischen nahe Steinkimmen, die das Sozialpädagogik-Studium an der Hochschule Bremen erfolgreich abgeschlossen hatte, was ja keine Kunst war, wurde fest angestellt für 40 Stunden die Woche. Sie rauchte wie ein Schlot diese filterlosen Roth-Händle mit dem intensiven besonderen Duft aus politischen Gründen. Zusammen mit dem Geruch des Schwarzen Krausers, der Lieblingsselbstdrehmarke von straffälligen Jugendlichen – einige holten wie im Knast 60 Stück ganz dünn gedreht aus dem Beutel heraus-, zusammen mit dem Geruch des Schwarzen Krausers also verbreitete sich eine Dunstglocke aus Gefängniszelle und Deutscher Kommunistischer Partei im ganzen viergeschossigen Haus. Ergänzt wurde das Geruchsspektrum noch durch intensive Küchengerüchte. Sowohl die Bauerntochter als auch der Heimleiter und Geschäftsführer kochten gerne zusammen mit den Probanden, oder sagen wir pädagogischer: mit den teilweise wahnsinnigen und unterversorgten Hausbewohnern. Der Hockerkocher, dessen Anschaffung ja noch vom Staatsanwalt gegen die Mehrheit der anderen Hausausschussmitglieder abgelehnt wurde, machte sich bezahlt. Herrliche Suppen wurden gekocht, riesige Pfannen mit Bratkartoffeln und Zwiebeln standen auf dem Hocker, wunderbare Mehlpfannkuchen wurden hergestellt und verschiedene Fleischgerichte aus Hack und Brät. Auch wurde Tagebuch geführt. Dieses nutzte die DDR-freundliche Sozialistin mit propagandahaften Ostzonensprüchen, während der Geschäftsführer, der ja sozialdemokratische Wurzeln hatte damals, versuchte mit revisionistischen antikommunistischen Weisheiten dagegen zu halten. Wer weiß, wo diese Tagebücher im Laufe der Zeit geblieben sind? Wie und wo auch immer. Auf jeden Fall ging es so nicht weiter. Letztlich kam es nach langen vereinsinternen Kämpfen zu dem Beschluss, die Vereinsgeschäftsstelle auszugliedern und den Revisionisten aus dem Hause zu verbannen. Sowjetrussische Methode. Der Abschied war nicht leicht. Immerhin waren es 7 Jahre. Nicht nur die DDR-Kollegin, die immer die UZ mit zur Arbeit brachte, wird der Verbannte später vermissen, sondern auch die Ungarische Honorarkraft, die gut und gerne in einem Film zusammen mit Marika Röck hätte auftreten können. Auch die leise Susanne wird ihm sehr fehlen, die immer fleißig ihren Pädagogischen Dienst versah, und die im Urlaub im Roten Meer nach den Spuren von Moses tauchte. Der Umzug in ein neues Gebäude in der Rückertstr.20 stand bevor, da half kein Heulen und Seufzen.

 

 

Der Puff im Keller, oder: 3x klingeln

 

1987.Denkmalschutz, die gesamte Rückertstraße. Herrschaftliche Häuser, errichtet am Anfang des 20.Jahrhunderts – teilweise im Bauhausstil. Vordere Neustadt. Früher sicherlich ein lebendiges Quartier mit Geschäften und Kneipen. Eines dieser Geschäfte befand sich unten im Erdgeschoß in einem mehrgeschossigen Wohnhaus in der Rückertstr.20. Es soll wohl ein Bäckerladen gewesen sein, wenn nicht sogar ein Fleischerladen. Egal, der neue Hausbesitzer, ein Lehrer und Segler – wohl meistens Segler- hatte den Laden unten mit großzügigen neuen Fenstern ausgestattet und zu einem Wohn- oder Geschäftsbereich umgestaltet. Hier nun also sollte das neue Domizil der Vereins-Geschäftsstelle sein. Der Umzug von der Neuenlander Straße in das neue Domizil war ein kooperatives Ereignis. Alle packten mit an: Der Vorstand, der Hausausschuss, die unter Bewährung stehenden Probanden, die Bewährungshelfer selbst, die gesamte Bremer Jugendgerichtshilfe. Selbst die Staatsanwaltschaft ließ es sich nicht nehmen Kartons zu schleppen. Natürlich beobachtete sie dabei genau, was die unter Bewährung stehenden Strolche und Ex-Knackis so anstellten. Annegret war auch Roth-Händle qualmend mit dabei – sie nahm die Küche sofort in Beschlag und kochte für alle am Umzug beteiligten Revisionisten eine herrliche DDR-Soljanka mit reichlich Roter Beete drin. Die ungarische Honorarkraft tauchte auch auf und unterhielt die gesamte Umzugsstraße mit magyarischen Gassenhauern.  Die Umzugsfahrzeuge allerdings konnten nicht direkt vor das neue Domizil vorfahren, weil der Parkplatz dort von einem dicken Jeep mit Hamburger Kennzeichen blockiert war, um den herum ein kräftiger tätowierter Kraftprotz kreiste, der keinerlei Einsicht im Hinblick auf einen Parkplatztausch zeigte. Er stehe dort mit seinem Hamburger Wagen täglich – warum sollte er heute für den Einzug von Sozialheinis weichen. Dabei spielte er freiarmig mit seinen oberen Muskelpaketen und ein fürchterlich aussehender Hund tänzelte um seine Beine herum. Der Fuhlsbüttler mit Hund und großer Karosse ließ nur noch verlauten, dass er es geil finde, wenn jetzt mal anständige Leute einziehen würden, er wohne unten im Keller. Die von oben könne man alle vergessen. Herrliche Aussichten. Hier nun also sollten wir als Vereinsgeschäftsstelle die nächsten Jahre bis Ende der 90er Jahre verbringen. Auf engsten Raume waren über die Jahre hinweg dabei: Betty (Personal), Heinrich (Betrüger), Jagoda (Polnische Hilfsbuchhalterin und Entlaverin des Betrügers, sowie Köchin von Bigos in der Geschäftsstellenküche), Hansi (§-19-Mitarbeiter und Radiobremen3dauerhörer, zu nichts zu gebrauchen), Anton (Sozialarbeiter ABM, kotzte vor Dienstbeginn regelmäßig in die Blumenkästen der Großen Johannistraße) Maggi (spätere hauptamtliche Buchhalterin, die mit den Kostenstellen auf Kriegsfuß stand), Claas-Uwe (ABM-Sozialarbeiter, konnte nicht Schreibmaschine und verfasste handschriftlich in stundenlanger „Arbeit“ Protokolle von Ambulanten Probandenbesuchen, jeder Furz wurde aufgeschrieben), Juliane (Wissenschaftliche § 19 Praktikantin, die beim Streichen ihres Büroraumes in den Farbeimer plumpste und pünktlich um 12 Middag machte)…Die Liste der räumlichen Nutzer ließe sich unendlich erweitern, weil die Zeit in der Rückertstraße trotz Soljanka und Bigos die innovativste der gesamten Vereinsgeschichte war. Es gab viele neue Aufbrüche in der Jugendhilfe und in der Jugendstraffälligenhilfe, viele neue Ideen und Projekte, die von hier gesteuert wurden. Eines Tages fuhr am geöffneten großen Fenster zur Straße hin eine Radfahrerin im roten Anorak vor und bat um Anstellung. Noch am geöffneten Fenster wurde der Arbeitsvertrag abgeschlossen. Es war eine frühere Erzieherin und spätere Landschaftspflegerin aus dem Ostwestfälischen. Später sollte sie zur Prokuristin berufen werden. Von wem auch immer. Bei all den Geschäften in der neuen Geschäftsstelle soll nicht verschwiegen werden, dass es manchmal 3x klingelte. Beim Öffnen der Außentür durch Betty wurde dann von älteren Herren die Begrüßung ausgesprochen: „Hallo Süße, wir haben vorhin telefoniert. Ich bin der Albert“ - oder so ähnlich. Nachdem dann der Klingler seinen Weg in den Keller gefunden hatte, entstieg der Fuhlsbüttler samt Hund demselben und polierte vor dem Fenster des Geschäftsführers seine Hamburger Edelkarosse. 2 x wöchentlich kam der Vorsitzende des Vereins, Herr Jugendrichter Schnucki, in die Rückertstraße und erkundigte sich beim Anblick des Fuhlsbüttlers und seines Hundes nach deren Vorstrafen. Woher sollten wir das wissen, der Nachbar und sein Köter waren ja aus Hamburg. Manchmal kamen auch die männlichen Mitarbeiter der Bremer Bewährungshilfe und die Herren von der Bremer Jugendgerichtshilfe in der Geschäftsstelle vorbei. Sie klingelten alle ordnungsgemäß nur 1x. Allerdings soll Jugendgerichtshelfer B. 3x geklingelt haben unten, seitdem wurde er oben nicht mehr gesehen.

 

Ja, es war eigentlich ein Tollhaus, diese Geschäftsstelle. Denken wir nur an die regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen. Die Belegschaft expandierte in der damaligen Zeit von Jahr zu Jahr. So mussten sich auf engstem Raume im „Konferenzsaal“ neben dem Geschäftsführerbüro manchmal bis zu 20 – 30 Leute die Plätze teilen. Wer zu spät kam, musste mit einem Stehplatz an der Wand Vorlieb nehmen. Und das waren nicht wenige, schließlich handelte es sich um überwiegend Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Ein Teil davon unmotivierte ABM oder § 19 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die später hauptamtlich auf feste Stellen übernommen wurden. Ab da haben sie dann ihren Allerwertesten bewegt und sofort einen Betriebsrat gewählt. Auch der Ruf nach Supervision trat dann irgendwann in den Vordergrund. Zeitweise saß der Geschäftsführer mit Betty und Maggi allein im Büro, weil alle anderen entweder auf Supervision oder aber auf Betriebsratssitzung waren. Oder gerne auch krankgemeldet, oder Fahrrad kaputt. Ein Wunder war damals, dass alle Besucher der Geschäftsstelle überhaupt in die Räume gelangten, wenn sie nicht gerade nach unten wollten. Der Zugang zur Geschäftsstellentür war nämlich meistens durch abgestellte Fahrräder, Kinderwagen und Mülltonnen der oberen Mitbewohner verstellt. Auch wurde Sperrmüll bis zum Eintreffen des Sperrmüllwagens am nächsten Tag gerne im Eingangsflur abgestellt. Eine einvernehmliche Lösung dieses Problems konnte nie erreicht werden, manchmal standen die Fahrräder und Müllbehälter direkt im Büro des Geschäftsführers. Den Fuhlsbüttler und seine Prostituierte unten im Keller interessierten die Probleme oben nicht. Ihnen war daran gelegen , dass die Kundschaft nach 3maligem Klingeln unten ankam, und dass der hässliche Hund unten in einem kleinen Nebenkeller direkt unter dem Geschäftsführerbüro auf einem knarrenden Hundelaufband seinen bissigen Körper trainieren konnte. So fragte der 1.Vorsitzende während einer Vorstandssitzung einmal das Vorstandsmitglied Baron von der Jugendgerichtshilfe, das übrigens immer als Letzter kam, um als Erster wieder zu gehen, weshalb er denn so laut mit den Hufen scharre? Der Betroffene konterte: „Wir von der Jugendgerichtshilfe scharren nicht mit den Hufen, wir sind doch keine Jugendrichter!“! So ging damals in den 80ern / 90ern Vorstandssitzung.

 

Fotos unten: Rückertstraße 20

Neustadt.Phantastische Orte. Überall

Der Chef des Fischgeschäftes in der Pappelstraße,

der den Kunden nichtendenwollende Fischvorträge hielt 

 

Freitags. Mittags. In den 80er – 90er Jahren und auch noch Anfang des Neuen Jahrhunderts: Pappelstraße in der Neustadt. Das traditionelle Fischgeschäft gegenüber dem Delmemarkt und der Orthopädischen Praxis des Arztes, der bei jedem körperlichen Leiden, besonders Rücken, zur schmerzstillenden Spritze griff. Freitags also, Pappelstraße, Fischgeschäft – eine lange Kundenschlange bis hin zur Bachstraße, wo später ein Calvinistischer Paster Wohnung nehmen wird. und wo noch später ein Irrer seinen Glastisch aus dem Fenster schmeißen wird. Im Fischladen selbst Enge wie in einer Bratheringdose. Überwiegend Warten auf den frisch zubereiteten Bratfisch mit Kartoffelsalat zum Mitnehmen, 6.50. Andere Kund:Innen nehmen keinen gebratenen Bratfisch, sondern verlangen frisch nach Matjes, Scholle, Krabben oder Skrei. Das Verlangen nach Skrei allerdings war dann verbunden mit ausufernden Fischlektionen. Besonders dann, wenn der Chef persönlich bediente. Er referierte lauthals, damit auch alle Anwesenden die Lektion mitbekommen, über den Wanderweg des jungen Kabeljaus vom Sibirischen Meer bis hin zu den Norwegischen Lofoten. Ausführlich, es fehlten nur noch Video-Aufnahmen oder Dia-Projektionen, erklärte er der verehrten Kundschaft, wie die Norwegische Fischerei den jungen russischen Fischen auflauert, um sie dann als so genannter „Skrei“ in die gesamte Fischwelt zu exportieren. Viele von den Fischen, so der Chef, würden allerdings nicht frisch exportiert, sondern zum Lufttrocknen aufgehängt auf speziell angefertigten Holzböcken. So käme auch, so der Chef, zum Beispiel der Italiener in den Genuss Russisch/Norwegischen Kabeljaus. Wie er, der Norweger, denn zubereitet würde. Die Frage war die Chance für den Chef, weitere fachkundige Ausführungen von sich zu geben. Nur in Butterschmalz, auf der Haut kross zuerst, dann wenden und nur noch ziehen lassen – das helle Filetfleisch müsse zart und glasig bleiben. Zum Schluß noch echte Butter ran und seine hausgemachte Remoulade. Als Beilage, so der Fischmann, am besten Pellzkartoffeln. Ob noch weitere Fischinformationen gewünscht seien, so der Fishermann, z.B. über den Steinbeißer, über den Hering, über den Hai oder über den Kugelfisch, oder vielleicht sogar über den Zackenbarsch. Und zack, fluchtartig waren sie dann alle weg und machten Platz für die Nachrückenden aus der Warteschlange, die bis zur Ecke Bachstraße reichte. Da bei der Adresse Pappelstr.100 – aber das ist ein anderes Kapitel.