Das Bremer Polizeihauptquartier direkt am Eingang zum Stadtteil. Ein Segen. Seit dem die Polizei hier am Ort in der Neuen Vahr Süd
ihre Einsatzzentrale hat, früher Straßenbahn- haltestelle Kaserne, ist die Kriminalität quasi auf Null zurückgegangen. Wo früher noch marodierende Jungrockergruppen mit dem Abzeichen
"Silverbirds" hinten auf den Nietenjacken das Wohngebiet unsicher machten, da ist jetzt eitel Sonnenschein. Die Menschen in der Neuen Vahr Süd sind glücklich Auf jeden Fall glücklicher als
die da drüben auf der anderen Seite in der Neuen Vahr Nord. Dort soll, so hört man, die Fahrt mit dem Fahrstuhl in den 8.Stock für einige Uneinsichtige bereits im 5.Stock mit schweren Verletz-
ungen enden. Was dran ist an dem Gerücht, kann an dieser Stelle nicht haarscharf wiedergegeben werden. Auf jeden Fall weiß man, dass ein ehemaliger Jugendlicher aus dem 8.Stock in der
Gustav-Radbruch-Straße in seinen späteren beruflichen Karriereanstreng- ungen bei einem stadtbekannten Geldinstitut bereits im 2.Stock gescheitert ist, weil er wohl zu blöde war, flexibel und
kundenorientiert auf die Bedarfe der Partner und gleichzeitigen Schuldner einzugehen. Das aber, wie gesagt, alles Geschichten von drüben, aus der Neuen Vahr Nord, auf die wir hier ja wohl
nicht näher eingehen müssen. Die Neue Vahr Süd jedenfalls gibt sich mit solchen beruflichen Versagern nicht ab, weil hier im Bereich viele überhaupt keine Arbeit haben. Das ist auch gut so, weil
sie dann ja eben als Sesselfurzer in den Geldinstituten keinen Schaden anrichten können. Sie sitzen stattdessen mittags in den Kantinen der Berliner Freiheit und reden über den Segen der
Arbeitslosigkeit und des Rentnerwesens. Auch loben sie das Wirken des Beirates, der jahrhundertelang, sozial- demokratisch geführt, für die positive Entwicklung des Wohngebietes viel
entschieden und gemacht hat. Immer wieder erwähnen sie an ihren Mittagstischen in der riesigen Halle des Einkaufszentrums gebetsmühlenartig die Vornamen Herbert, Karl-Hermann, Wolfgang, Richard,
Helmut und Dieter - was immer damit gemeint sein mag. Einer rief sogar: "Ach Gott, wie war das schön!" Ja, die Neue Vahr Süd. Das ist schon ein besonderer Stadtteil, da kommt Himmelhöllen
echt nicht mit. Hier findet man keine Ponyreitkarussells, sondern eine der wichtigsten Pferde-Rennbahnen der Welt - 4x im Jahr gehen hier Galopper an den Start. Die Menschen aus der Neuen Vahr
Süd stehen dann tausendfach auf den Stichwegen hinten in den Reihenhaussiedlungen der Neuen Vahr Süd, die an den Rennplatz direkt angrenzen, und gehen Wetten ein, wer von den Stuten und Hengsten,
die durch den Abgrenzungszaun zu erblicken sind, wohl die Rennen machen werden. Es gab in all' den Rennjahren mehrere Wettschlägereinen zwischen den verschiedenen Reihenhausstichweg- anliegern.
So soll ein ehemaliger Litauer vom Stichweg Julius-Leber-Straße einem ehemaligen Russen vom Stichweg Carl-Goerdeler-Straße voll was auf die Schnauze gegeben haben, weil dieser lautstark
behauptete, dass die von der Julius-Leber-Straße überhaupt keine Ahnung von Pferderennen hätten. "Wir haben schließlich Putin, und der reitet persönlich, sogar mit freiem Oberkörper!" Nun
gut, ihr unchristliches Verhalten am Pferderennbahnzaun sei ihnen verziehen, schließlich gibt es in der Neuen Vahr Süd noch genügend Christenmenschen, die Sonntag für Sonntag die drei schönen
Kirchen des Gebietes bevölkern, 2 evangelische und eine katholische. Die 2 evangelischen der Neuen Vahr Süd haben sich wegen der ständigen Überfüllungen der Gottesdienste zusammen mit der
einen von drüben, von der Neuen Vahr Nord, zu einer Großkirche zusammengeschlos- sen. Sie machen in einer Kirche abwechselnd Gottesdienst und übertragen auf Großlein- wand in die anderen Kirchen.
Teilweise sogar Public Viewing auf den Kirchenvorplätzen, wenn innen alles voll ist. Die katholische Kirche hingegen, früher hieß sie einmal St.Hedwig (die Nähmaschine dreht sich...alter
Kinderreim aus der Kindheit der Autorin, wie albern) hat sich für 80.000 Deutsche Mark in der Voreurozeit aus den so genannten WiN-Mitteln (Wohnen in Nachbarschaften) seinerzeit eine riesige
Trennungstür finanzieren lassen, um den wilden katholische Jugendbereich von dem frommen Altenbereich abtrennen zu lassen. Ein stadtteilbekannter älterer Bewohner aus der AWO-Altenpflegeanstalt
da am Vahrer See nannte die Katholische Kirche immer: "Katholischer Güterbahnhof", womit er wohl zum Ausdruck bringen wollte, dass direkt vor der Kirche keine Personen-Haltestelle anzutereffen
war, und dass die Straßenbahnen der Linie 1 immer wie Güterzüge direkt am Kath. Gotteshaus vorbei rauschten. Nun gut, wie auch immer. Die Menschen in der Neuen Vahr Süd können nicht klagen. In
ihrem Lebensgebiet wird viel für sie gemacht. Sie haben einen Gummiplatz, der jetzt Fahrradfahrverkehrsschule genannt wird, sie haben ein Amt für Soziale Dienste, sie haben die Vahrer
Maulwürfe - die früher in der Ludwig-Beck-Str. buddelten (siehe Foto links) - , sie haben reichlich industriell ausgestattete Kinderspielplätze, sie haben Italienische Gärten vor ihren
Wohnblocks, die Eigenheimler und Eigentums- wohnnungsbesitzer haben klare Parkreglements und Anspruch auf einen Parkplatz und auf geordnete Garagen und Garagenvorplätze, auf denen das Fremdparken
natürlich strengstens verboten ist - und sie haben den "Treff Waschhaus". Hier treffen sich die Nachbarinnen und Nachbarn zum Erzählkochbuch, zum Stricken, zum Schach und zum Doppelpopp -
quatsch, nicht zum Doppelpopp, sondern zum Doppelkopp natürlich. Ganz früher waren hier sogar einmal die "Schnellen Jungs" untergebracht. Die kamen aber mit dem Tempo der Entwicklungen in
der Neuen Vahr Süd nicht mit, so dass sie nach Grolland abziehen mussten, diese Schröders. Die Menschen hier sind zufrieden. Sie haben schöne komfortable Wohnungen mit Einbauküchen und
Bädern. Was will man mehr? Sven Regner hat von all' dem wohl nichts gewußt, sonst hätte er Lehmann ja vielleicht einmal im Cafe Heinemann, im Jugendclub Vahr, im Kiepenkerl oder bei
Schons einkehren lassen können, um sich volllaufen zu lassen, oder sich, wie es die "Silverbirds" gut konnten, sich mit Hasch oder Heroin vollzudröhnen. Übrigens: die Jungs und Mädels von
der Jungen Gemeinde der Christusgemeinde in der Neuen Vahr Süd waren in Hinsicht Kiepenkerl auch nicht schlecht. Ja, Sven, sorry!
Manuele Kippenhardt, 31.Oktober 2015, Entschuldigung für die Verspätung